Es ist nicht zu übersehen – das deutsche Bäckerhandwerk befindet sich im Wandel. Auf der einen Seite beinhaltet dieses die großen Herausforderungen wie den Fachkräftemangel oder Betriebsschließungen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch positive Entwicklungen, die nicht zuletzt geprägt sind von einem Generationswechsel – sowohl vor der Verkaufstheke der Handwerksbäckerei als auch dahinter. Veränderungen im Konsumverhalten, neue Bäckerei-Konzepte und „Backen“ als Trend sind nur einige der zahlreichen neuen Aufkommen im Bäckerhandwerk. Die Entwicklungen in der backenden Branche sind also im vollen Gange, mit dem Ziel, das Bäckerhandwerk wieder in alter Stärke aufblühen zu lassen.
Aktuelle Entwicklungen in der backenden Branche
Die Corona-Pandemie hat auch im Bäckerhandwerk für viele deprimierende Nachrichten gesorgt und aktuelle Herausforderungen backender Betriebe verschärft. Jedoch kommen in diesen schweren Zeiten auch positive Nachrichten aus der Branche, die dem Abwärtstrend entgegenhalten. So entfalten Brotbegeisterte einen neuen Brotkult in Deutschland, der sich nicht zuletzt in den steigenden Umsatz- und Investitionszahlen der Bäckereibetriebe widerspiegelt. Dabei sind die neuen Konzepte genauso vielfältig, wie sie zahlreich sind. Gastronomisch geprägte Bäckereien, neue Öffnungszeiten, Regionalität – um nur ein paar der neuen Entwicklungen im Bäckerhandwerk zu nennen. Es zeigt sich auch, dass die Trends sich sogar von Region zu Region ganz unterschiedlich darstellen. Neugründungen und die steigende Beliebtheit des Brotes bestätigen, dass das Bäckerhandwerk sich durchaus von einer geschichtsträchtigen Branche zu einer mit vielversprechenden Zukunft entwickelt.
Bäckerhandwerk: Die neue Generation
Wir stecken mittendrin in einem Generationswechsel in der backenden Branche. Viele junge Bäckermeister:innen machen sich vor allem in Großstädten mit innovativen Geschäftskonzepten selbstständig, so Daniel Schneider, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks e.V.. Um mehr Bäcker:innen zum Schritt in die Selbstständigkeit zu ermutigen, gibt es an der Hochschule Mannheim jetzt sogar einen Studiengang mit Schwerpunkt Bäckereimanagement. Praxisnah und zukunftsorientiert: Während ihres Studiums lernen die Student:innen alles notwendige, um als künftige Führungskräfte in der backenden Branche durchzustarten.
Neue Rezepte und Kundennähe – die jungen Bäcker:innen kommen mit vielen Ideen an den Markt und arbeiten dabei vor allem tagsüber. Ein prominentes Beispiel ist die von Sebastian Däuwel gegründete Bäckerei „Die Brotpuristen“. Mit den angepassten Öffnungszeiten lockt der Betrieb vor allem den Bäckernachwuchs. „Wenn ich eine Anzeige schalte, schreibe ich mit einem kleinen Aufreißer ‚Keinen Bock auf Nachtarbeit? Komm‘ zu uns!‘ Da bekomme ich dann schon zahlreiche Bewerbungen, oft auch von Quereinsteigern“, so Däuwel.
Mit der Nachwuchskampagne „Back dir die Zukunft“ und dem diesjährig erstmalig stattfindenden Ausbildungsgipfel des Bäckerhandwerks widmet sich auch der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks der Sicherung der künftigen Fachkräfte. Bei jungen Menschen soll damit die Sichtbarkeit der attraktiven und zukunftssicheren Arbeitsmöglichkeiten erhöht werden.
Wie wichtig die Nachwuchsarbeit ist, wissen auch Susanne Sticher und Sebastian Schaefer, die Geschwister führen gemeinsam die Handwerksbaeckerei Schaefer. Ihre Ausbildungsaktivitäten beinhalten unter anderem regelmäßige Kampagnen zur Azubiwerbung, so Sticher.
„Das deutsche Bäckerhandwerk wie auch das deutsche Handwerk allgemein genießen weltweit einen hervorragenden Ruf. Die Lebensmittelnahversorgung ist eine krisensichere Branche und bietet Jobs vor der Haustür.“
Susanne Sticher, Geschäftsführerin Handwerksbaeckerei Schaefer
Ein Interesse am Bäckerhandwerk ist also durchaus vorhanden. Die Bäckerjugend-Weltmeisterin 2021 Lisa Sophie Schultz arbeitet bereits an Ihrem Meistertitel im Bäckerhandwerk. Auch Sie hofft, dass mit Veranstaltungen wie der Weltmeisterschaft der Bäckerjugend ein anderes Licht auf die backende Branche geworfen werden kann, besonders für junge Menschen. Übrigens: Auch in diesem Jahr haben Deutschlands Jugendbäcker den Weltmeister-Titel gewonnen.
Handwerksbäckerei: Die neuen Konzepte
Wie genau spiegelt sich der Wandel im Bäckerhandwerk in den Betrieben wider und wie unterscheiden sich die Konzepte von denen vorheriger Generationen?
Nachtschicht
Der Beruf des Bäckers wird von vielen deshalb gemieden, da dieser in der Regel mit dem Arbeiten in der Nacht einherkommt. „Die Arbeitszeiten, vor allem die Arbeit freitagnachts, ist ausschlaggebend, dass viele Leute nicht als Bäcker arbeiten wollen“, erklärt Bäckermeister Peter Seidl. Statt diesem Problem auszuweichen und in eine andere Branche zu wechseln, finden einige Brotbegeisterte eine auf ihre Bedürfnisse angepasste Lösung. So sind die Brotpuristen nicht die einzigen, die die für Bäckereien typischen nächtlichen Arbeitszeiten gegen den Tagesbetrieb eintauschen. Dabei soll nicht nur die Zukunft des Bäckerhandwerks gesichert, sondern auch die eigene Lebensqualität erweitert werden, wie Seidl erklärt. Sein Familienbetrieb ist samstags sogar komplett geschlossen.
Nachhaltigkeit, Regionalität und Qualität
Die Bedeutung von nachhaltigen und regionalen Produkten ist – besonders mit Blick auf den Klimawandel – bei vielen Konsument:innen in den letzten Jahren stark gestiegen. Vermehrt wird beim Kauf und Verzehr von Lebensmitteln bewusst auf die Inhaltsstoffe und deren Herkunft geachtet. Die Wertschätzung von traditionell hochwertig hergestellten Brot- und Backwaren bestätigen auch die Bäcker:innen: „Die Kunden fragen immer öfters nach, was in den Produkten enthalten ist. Die Wertschätzung der Backwaren hat sich da sehr verändert,“ so Familie Steimer der Bäckerei Neidhardt. Auch Tonja Küpfer der gleichnamigen Bäckerei in Waldshut merkt den Trend zum regionalen Einkaufen. Vor allem 2020 – am Anfang der Corona-Pandemie – hat sich die „auch die Qualität zählt“-Einstellung bei Ihrer Kundschaft bemerkbar gemacht. Auf künstliche Backtriebmittel und weitere Zusatzstoffe wird auch deshalb bewusst verzichtet, um sich von den Vorback-Pendants aus Supermärkten und Discountern abzugrenzen. Einige Bäckereien wie die Brotpuristen folgen so zunehmend dem Motto „Große Qualität, kleines Sortiment“ und bieten beispielsweise nur Brot in ihren Betrieben an.
Gastro-Konzept
Bäckereien sollen nicht mehr nur als kurzer Zwischenstopp, sondern als Treffpunkt gelten. Im Zeitalter der rasch zunehmenden Informationsflut steigt bei vielen Menschen der Wunsch nach einer Entschleunigung ihres Alltages. Der Einkauf in Bäckereien geht immer häufiger über die Zweckerfüllung hinaus und soll zum wahren Erlebnis werden. Besonders in urbanen Zentren wie Berlin und Hamburg sind vermehrt neugegründete gastronomieorientierte Bäckereien zu finden. „Dort ist zum einen eine hohe Kaufkraft und zum anderen eine genussorientierte Kundschaft, die Essen als wichtigen Teil ihres Lifestyles betrachtet“, so Daniel Schneider.
Digitalisierung
Für die Zukunftssicherung des eigenen Betriebes steht für viele Bäckereiinhaber:innen die sukzessive Digitalisierung der Abläufe an oberster Stelle. Zudem sollen durch digitale Lösungen auch betriebsinterne Prozesse optimiert werden, um so die Brücke zwischen traditioneller Handwerksbäckerei und Modernem zu schlagen.
Mehr zum Thema Digitalisierung in Bäckereien erfahren Sie in unserem Blogbeitrag Digitalisierung der Bäckerei im 21. Jahrhundert: Ist digital die neue Tradition?
Bäckerhandwerk in der Online-Welt
Durch die Ausbreitung von Instagram, TikTok und Co. sind neue und wichtige Kommunikationswege entstanden. Eine Onlinepräsenz ist nicht nur im Hinblick auf die jüngere Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, von großer Bedeutung. Das Einholen von Informationen zu Produkten und Unternehmen sowie die Jobsuche sind nur ein Teil dessen, was heutzutage vorwiegend online stattfindet. Vermehrt geben Bäckereien ihren Follower:innen interne Einblicke über die sozialen Medien und sorgen damit für eine anhaltende Kundenbindung, Neukundengewinnung und den Aufbau einer attraktiven Arbeitgebermarke. Bäckereien wie die Handwerksbaeckerei Schaefer nutzen soziale Medien für Nachwuchsbewerberkampagnen und auch Sebastian Däuwel ist in seiner Backstube viel mit dem Smartphone unterwegs. Zudem wecken neuerdings auch Brotinfluencer:innen in den sozialen Medien bei vielen Menschen die Liebe zum Backen und zu hochwertig hergestellten Brot- und Backwaren. Den Satz „Hi, ich bin Jo und ich backe Brot“ hören viele deutsche TikTok-Nutzer:innen regelmäßig beim Nutzen der App. Hobby-Bäcker Jo Semola erklärt in seinen Kurzvideos unter anderem, wie man von zu Hause aus ganz einfach Brot backen kann und ruft damit bei zahlreichen Menschen das Interesse an hochwertig hergestellten Backwaren hervor.
„Wenn traditionelle Bäckereien überleben wollen, müssen sie sich an diese Trends anpassen.“
Peter Schlär, Obermeister der Bäckerinnung Rhein-Neckar-Odenwald
